Es ist unfassbar, wie schnell es gehen kann. So richtig begriffen habe ich es noch noch nicht, das mein Papa nicht mehr da ist. Der Versuch, all das in Worte zu fassen, führt unweigerlich zu Tränen.
Am 21. Juli haben meine Eltern noch Diamantene Hochzeit gefeiert. Mit Familie und ein paar Freunden im Dieburger Schloss, mit Austern, Gambas, Carpacchio und allem was mein Vater so gerne isst. Ein wirklich gelungenes Fest, er hat noch eine tolle Rede gehalten - ein kurzer Abriss seines Lebens mit Mama - so als würde es noch eine Fortsetzung geben.
4 Tage später haben seine Beine ganz plötzlich den Dienst versagt. Wäre ich nicht da gewesen und hätte den Notarzt alarmiert, wäre es für ihn sicher besser gewesen. Aber vielleicht brauchten wir diese Zeit, um uns zu verabschienden. Wir alle. 3 Wochen Krankenhaus, Infusionen, Bluttransfusionen, Harnkatheder, Infektion, Antibiotika, Lungenentzündung - und wir konnten ihn coronabedingt nur einmal am Tage besuchen, immer nur eine Person, anderthalb Stunden ...
Papa hat dann aufgegeben. Fast nichts mehr gegessen, weigerte sich, seine Hörgeräte zu tragen und damit war der Kontakt zur Umwelt weitgehend ausgeblendet. Schließlich hat Papa die weitere Behandlung verweigert. Da das Krankenhaus nichts mehr für ihn tun konnte, kam Papa dann nach Hause - und wir wussten, dass es das Ende sein würde. Über die Mutter einer Schulfreundin meiner Ältesten haben wir zumindest ein kompetentes und engagiertes Palliativteam an unserer Seite gehabt. Dies alles ist eigentlich nicht Thema meines Blogs - aber ich muss mir das alles irgendwie auch von der Seele schreiben ... Die letzten Tage werde ich mein Lebtag nicht vergessen ...wie bitter der Tod gnadenlos Menschen aus unserer Mitte reißt, die qualvoll sterben und wir können nicht helfen.
Quercus, die Eiche. So hieß der letzte Irish Setter meiner Eltern. Und unter einer Eiche wird Papa im Ruheforst auch seine letzte Stätte finden - so hat er das gewünscht. Dass seine Kohlenstoffe in den Boden übergehen und den Baum nähren, in dem er dann fortlebt.
Mein Vater war ein charismatischer Mensch. Und er prägte nicht nur meine Kindheit, sondern letztendlich mein ganzes Leben. Meine Liebe zur Natur, zu Tieren, mein Interesse an Ornithologie - das Glück und die Zufriedenheit, die ich in kleinen Dingen zu finden vermag, all das ist das genau sein Werk wie das mein nimmermüdes Streben nach Perfektion und Erkenntnis, nie halbe Sachen machen.
Mein Vater ohne sein Fernglas war ein seltener Anblick. Alle Kontinente hat er bereist, winzige Kolibris haben ihn genau so begeistert wie die riesigen Kondore in den Anden.
Unsere letzten Urlaube führten uns weniger in die ehemals geliebte Camargue, die leider viel zu touristisch geworden war. Das Foto oben zeigt Papa auf den Spuren Helmut Drexlers am Galenbeker See.
Sportlich war Papa eigentlich nur zu PR-Zwecken. Hier werden die neuen Tischtennisplatten auf dem Spielplatz im Zoo Heidelberg publikumswirksam eingeweiht.
Die Einweihung der Robbenanlage im Zoo Heidelberg mit Fritz Ebert und dem OB Zundel - mit einem Schlüssel voller Fisch. Papas Talent für Marketing und PR haben dem Aufbau des Zoos sehr geholfen.
Die Einweihung des neuen Menschenaffenhauses - mit dem Segen des Heidelberger Perkeo und natürlich OB Zundel.
Papa hatte das Talent, medienwirksam zu agieren. Das war aber kein Selbstzweck, sondern immer im Interesse seines Zoos im Besonderen oder des Naturschutzes allgemein. Vor seiner Flucht in den Westen, wollte er Förster werden. Das wäre sicher auch ein passender Platz für ihn gewesen, obwohl die immer absurderen Gesetze zum Thema Tierschutz ihm daran sicher auch den Spaß verdorben hätten. Strafbar macht sich, wer eine Feder aufhebt - in vielen Publikation rechnet Papa gnadenlos mit Ignoranz, Lobbyismus und Dummheit ab.
Meine Mama war immer an seiner Seite, hat unzählige Tierkinder groß gezogen, alle Publikationen, Artikel, Berichte, Zooführer und Reden getippt. Damals noch auf der Schreibmaschine und später auf dem Schreibcomputer - einen richtigen PC hat es bei uns nie gegeben.
Gesellige Runde mit Freunden ...
Vor Corona waren Krankenhäuser doch ein besserer Ort.
Auf der Suche nach dem blauen Laubfrosch - das war das Motto unserer vielen Camargue-Reisen. Meine Eltern immer mit dem Wohnmobil, wir erst im geliehenen Womo, später im Mobilhome auf dem Camping La Brise, später dann mit dem Wohnwagen. Papas Enkel haben alle in der Camargue laufen gelernt.
Jeder, der Papa kennt, kennt seinen Lebenslauf. Trotzdem hier eine kurze Zusammenfassung. Wie schnell passiert es doch, das die Erzähler plötzlich verstummen.
26. März 1935 wurde Papa in München geboren. Die prägenden Jahre seiner Kindheit hat er im Erzgebirge bei seiner Oma Milda und den Taten Lotte und Reni verbracht. In Haus Neu-Heidelberg in Bad Elster. Wir Kinder und Enkel können die Geschichten, wie er mit Oma Milda in Wald und Moor unterwegs war, auswendig. Zum Glück, denn er wird sie nie wieder erzählen.
Am Braunschweiger Kolleg machte er dann sein Abi - das durfte er in der DDR nicht, weil sein Vater ja Staatsfeind war (Opa Kurt war Ulan und ist in Bauzen qualvoll verhungert - unschuldig übrigens, die Denunziantin war lesbisch und scharf auf meine Oma ...) - und studierte dann Zoologie, promovierte über Kolibris. In Braunschweig lernte er meine Mama kennen und die zwei wurden ein Paar. Hier zahlte sich die Hartnäckigkeit meines Vaters definitiv aus, denn Mama war sich erst mal so gar nicht sicher, dass hier gerade der Mann ihrer Träume um sie warb. Aber ich glaube, Papa hat in seinem Leben fast alles bekommen, was er wirklich wollte. Und so wurde dann am 21. Juli 1961 Hochzeit gefeiert. Am 26. November kam ich auf die Welt, 4 Jahre später promovierte Papa und wir zogen dann nach Duisburg, wo er im Zoo als Assistent eine Stelle bekam. Damit wuchs ich quasi von Anfang an mit Tieren auf - erst im zoologischen Institut und dann im Zoo Duisburg, ab 1972 dann im Zoo Heidelberg, dessen Leitung Papa übernahm. Vorher, 1969 wurde noch ein Bruder Dierk in Duisburg geboren.
Der Zoo in Heidelberg war in desolatem Zustand. Und bot den vielfältigen Talenten und Fähigkeiten meines Vaters ein dankbares Terrain. Wir wohnten direkt im Zoo. Hörten nachts die Pfauen und Elefanten, später auch die Bären und Löwen. Papa hatte mehr oder weniger einen 24-Stunden-Job.
Aus dem hässlichen Entlein wurde ein stolzer, international renommierter Schwan. Diverse Erstzuchten, 10 Orang-Utan-Babies, Brutkasten neben dem Wohnzimmer, daneben die Aufzuchtstation für zahllose Vogelkinder, Listztäffchen, unser Garten war eine Forschungsstation mit freifliegenden Kolibris ...
Meine Eltern reisten durch die Welt, als zoologische Reiseführer und zu Kongressen und Tagungen, zum Beispiel zum internationalen Zoodirektoren-Verband, dessen Präsident Papa war.
1989 dann Ruhestand. Vorzeitig, weil die Gegebenheiten einfach nicht mehr so waren, wie Papa arbeiten wollte. Zeit für die Enkel, für Reisen, für Familie. Zunächst in Schaafheim und später in Altheim bei Münster.
Ich bin dankbar. Papa gekannt zu haben. Seine Liebe und auch seinen Respekt gewonnen zu haben.
Mein Vater hat immer gesagt, irgendwo da oben im "Himmel" ist ein langer Tisch, an dem alle sitzen, die nicht mehr auf Erden sind. Dort werden wir uns alle irgendwann wiedersehen und zusammen reden und lachen und feiern. Papa hatte immer recht - da wird das sicher auch stimmen ...